Rock It! Das Musical (2015)

Rock it! (2015)

Das Musical-Projekt Rock it!, das wir 2015 mit einem ca. 35-köpfigen Orchester unterstützten, war eine spannende Erfahrung zwischen Glanz und Oberflächlichkeit, zwischen Wirkungsästhetik und tiefergehenden Ansprüchen, eben zwischen unterschiedlichen musikalischen Welten und Einstellungen. In meinem Beitrag zum Programmheft von damals versuche ich diese Divergenzen aufzuzeigen und allen Lesenden tiefergreifende Überlegungen nahezubringen, da schon im Probenprozess deutlich wurde, welche Welten aufeinander prallen und dass es viel pädagogischen und kulturellen Feingeschicks bedarf, um nicht nur eine Seite der Medaille zu sehen (s.u.). Auf der einen Seite hatten wir viel Spaß mit dem Projekt, der Außenwirkung, dem Gefühl von Coolheit und Angesagtsein, auf der anderen Seite wird nach 7 Aufführungen, die wir nacheinander im Theater am Kurfürstendamm hatten deutlich: Langfristige Zufriedenheit und geistige Erfüllung kann uns dieses Projekt nicht geben.
Als Vorlage für das Projekt diente ein Musicalfilm, der seinerzeit gut aufgenommen wurde und die Kinos füllte. (https://de.wikipedia.org/wiki/Rock_It!) Tamuthea erwarb die Rechte am Drehbuch, adaptierte das Stück für die Bühne und suchte nach einem passenden Kooperationsorchester. Mit unserer offenen Einstellung passten wir gut dazu, vermittelten noch einen Komponisten, der einige Stücke zwischen Klassik und Pop als Verbindungselemente neu entwarf und halfen bei der Auswahl klassischer Stücke. Später wurde als Regisseur Daniel Axt gewonnen – der Hauptdarsteller der Originalverfilmung.
Der Plot des Musicals ist so konstruiert, dass er zwischen einem musikalischen Internat mit höchsten Ansprüchen und einigen zu strengen und sehr verstaubten Lehrer:innen, die man kaum Pädagog:innen nennen kann, und der freien Pop- und Rockszene im benachbarten Städtchen spielt. Im Internat werden viele Schüler:innen auch gegen ihren Willen gedrillt, ihre Fähigkeiten in den Dienst der klassischen Musik zu stellen, bis eine Pianistin aus diesem Zirkus ausbricht und sich in einer Band verwirklicht. Dabei kommt es zu Ansätzen von Austausch zwischen den unterschiedlichen (musikalischen) Klischeewelten.

Wenn Sie an einem reflektierenden Text interessiert sind, der für ein Publikum konzipiert war, das eher der Wirkungsästhetik des Musicals nahestand, wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Lesen meines Programmheftbeitrags von 2015:
Klassik rockt? Oder warum bei Rock It! nicht nur Rockmusik zu hören ist …
(Auszug aus dem Programmheft)
Jede Musik kann rocken oder poppen, emotional bewegen oder zum (Nach‑)Denken anregen – Frau Bock würde – gequält und abschätzig – kalt lächeln und voller Verachtung ein vernichtendes Urteil fällen. Sie steht nicht für die Klassik und ihre positive Vermittlung Pate, wie sie an vielen musikalischen Bildungsinstitutionen praktiziert wird, sondern allein für restriktive, uninformierte, pädagogisch haarsträubende An­schauungen, die als psychologische Kompensation von persönlichen Ein­schrän­kungen und Ängsten entstehen kann. Vielleicht ist Frau Bock eine Person, die Angst vor der „teuflischen“ Verführung von Rock und Pop hat, weil sie selbst spürt, dass sie emotional ergriffen werden könnte, aber es ihr niemals erlaubt war, sich damit auseinanderzusetzen?
Jede Musik hat ihr eigenes positives Potential, das zu erkennen sich immer lohnt! Weder Frau Bocks Einstellung ist hilfreich, noch die vieler, dass Klassik eine veraltete, uninteressante und einfach nur anstrengende Art von Musik sei, die man am liebsten meidet, wenn man nicht schulisch oder anders dazu gezwungen wird. Francesca, die selbst in der klassischen Musik aufgeht, und Julia unterstützen sich gegenseitig dabei, ihren eigenen Weg zu finden. Sie zeigen, dass es anders geht. Wer Frau Bock als passendes Abbild der Klassik sieht, liegt genauso falsch wie jemand, der einen Rocker einem drogenabhängigen Arbeitslosen gleichstellt oder einen Poplieb­haber einem gleichgeschalteten vom Kommerz abhängigen Einfalts­pinsel, der nicht mehr selbstständig denken kann.
Es gibt viele unterschiedliche Arten von Musik, die auf ebenso viele unter­schiedliche Arten konzipiert sind, Ansprüche an ein Publikum haben, wahrgenommen oder verstanden werden können. Die emotionale Wirkung hängt dabei von Merkmalen der Komposition, der Interpre­tation, den persönlichen Umständen des Hörenden ab; aber auch von gesellschaftlichen Zwängen [was hören meine Freunde], der eigenen Hörbiographie [mit welcher Musik bin ich groß geworden und welche Musik hat mich dabei geprägt], vom Typ [eher ruhig oder mehr aufgeregt] und der momentanen Situation, in der die jeweilige Musik wahrgenommen wird.
Für jede Musik kann es einen perfect listener geben, also jemanden, der gerade diese Musik mit allen Poren wahrnimmt, aufsaugt, ergriffen ist, zum Nachdenken angeregt wird und sich einfach wohlfühlt und/oder dadurch enorm bereichert wird.
Das, was wir heute Klassik nennen, war die populäre Musik, der „Pop“ von vor 200-300 Jahren. Viele der musikalischen Wirkungsprinzipien gelten heute noch und sind Grundlage für aktuelle Rock- und Popmusik. Doch dennoch waren und vor allen Dingen sind die Ansprüche an einen perfect listener dieser Musik andere als an den aktueller Rock- und Popmusik. Ansprüche von Musik? Musik ist zur Erholung da und zum Genuss!? Das reicht nicht.
Musik, die den Hörer fordert mitzudenken und versteckte Botschaften aufzudecken, die zum selbstständigen Denken anregt und größere Bögen spannt, die über ein 10minütiges Stück oder gar eine ganze Oper von zwei bis vier Stunden dauert und ein vielschichtiges Bild entwirft, stellt Ansprüche an das Publikum, die in unserem schnelllebigen und schnell wertenden Zeitalter für viele umso wichtiger sind, um menschlich zu reifen und sich reflektierte Gedanken über die Welt und ihre Widersprüchlichkeiten zu machen.
Nicht immer ist ältere Musik für jeden sofort emotional zugänglich. Sie erfordert eine intensivere Beschäftigung mit ihr (meistens reicht mehrfaches Hören unterschiedlicher Musik aus einer Zeit!) bis sie einfach Spaß macht. Debussys Clair de lune, ein impressionistisches Stück, das um 1900 entstanden ist, beispielsweise charakterisiert in unserer Bühnenfassung des Musicals wie Nick und Julia zueinander finden. Es wird lyrisch und mit freien Assoziationen und Gedanken für jeden Zuschauer der Findungsprozess der beiden dargestellt und nicht mit dem Holzhammer ein Plakat in jeden Kopf genagelt, auf dem steht, dass Nick und Julia jetzt offiziell zusammen sind.
Auf der anderen Seite wird der Findungsprozess von Nick und Julia durch das Pop-Stück „Wie die Welt leuchtet“ beschrieben. Dort zeigt der Text mit nahezu standardisierten Floskeln (Julia: grauer langer Regentag und Nick: cooler, kalter Wintertag– im Gegensatz zum Leuchten der gesamten Welt), dass beide füreinander bestimmt sind. Das wirkt beim Publikum direkt.
Doch ist das Leben so einfach, kann man es sich so einfach machen?
Klassik nutzt das große Potential, künstlerische und menschliche Problemfelder vielschichtig und tiefgründig, reflektiert und interpretierbar zu beleuchten. Sie fordert eine erhöhte Aufmerksamkeit, Mitdenken, Reflektieren und vieles mehr von perfect listenern, doch sie ist dafür imstande, differenzierte und ganz besondere, neue Erlebniswelten zu öffnen. Aber sowohl großangelegte Werke der Rockmusik als auch gesellschaftlich bedingt leichte Stücke der Klassik gucken über ihren jeweiligen Tellerrand hinaus, denken wir zum Beispiel an „The Wall“ von Pink Floyd oder Unterhaltungsmusik des 18. Jahrhunderts.
Jede Musik zu ihrer Zeit, aber sich auch anspruchsvollerer Musik öfter stellen und die unterschiedlichen möglichen (Wirkungs-)Ebenen von Musik schätzen und erkennen lernen – das soll das musikalische Fazit dieses Musicals und dieser einleitenden Worte sein, die ich Ihnen und Euch als unserem Publikum mit auf den Weg geben möchte.
Es sollte (und schon gar nicht muss!) niemals ein Entweder-oder zwischen Klassik, Rock, Pop, Jazz oder irgendeiner anderen Musik geben. Julias Entscheidung ist nicht eine Abwendung von der Klassik, sondern eine Hinwendung zum Pop, die aus unterschiedlichen persönlichen Gründen motiviert ist. Julia hat durch einengende Vorgaben und Richtlinien etwas gefehlt, auch wenn sie nicht wusste, was es war. Es wäre sehr schade für ihre Entwicklung und ihre Möglichkeiten, wenn Julia die Klassik aufgrund einer schlechten Vermittlung und ihr auferlegtem Druck sowie außermusikalischen Zwängen komplett und für immer aufgeben würde.
Doch auch Nick „kreiste bislang nur auf seiner Bahn“ und ihm war dabei kalt. Die Hoffnung, dass Julia auch Nick neue musikalische Welten in der Klassik öffnen können wird und sie tatsächlich zusammen und nicht nur einer in der Welt des anderen singen oder spielen werden, besteht nach dem Ende unserer Story.
Entdeckt also mit uns ganz im Sinne von Francesca (oder auch des jüngeren Lehrers, Herrn Makarov) musikalische Welten: „sei offen, erkenne die Facetten der Welt, jede Musik ist auf ihre Weise liebenswert und versuche deinen (musikalischen) Traum ohne Zwänge zu leben“.